„Mache alles so einfach wie möglich, aber nicht einfacher!“, dieses berühmte Zitat von Albert Einstein passt perfekt zum diesjährigen Nobelpreis in Chemie.
Warum? Weil es genau darum geht!
In der organischen Chemie werden beispielsweise für pharmazeutische Zwecke komplizierte Molekülverbindungen nachgebaut. Das ist aufwändig, zeitintensiv und deswegen wäre es schön, wenn es eine einfachere Methode gäbe. Genau hier kommen Barry Sharpless und Morten Meldal ins Spiel: Sie haben Anfang der 2000er damit begonnen, sehr viel einfachere Vorgänge zu untersuchen. Carolyn Bertozzi hat diese Ergebnisse dann aufgenommen und sie noch einmal signifikant weiterentwickelt, sodass sie sogar in lebenden Zellen angewendet werden können.
“This year’s Prize in Chemistry deals with not overcomplicating matters, instead working with what is easy and simple. Functional molecules can be built even by taking a straightforward route,” says Johan Åqvist, Chair of the Nobel Committee for Chemistry.
Barry Sharpless erhielt 2001 seinen ersten Nobelpreis in Chemie, das hielt ihn aber nicht davon ab, sich einem ganz neuen Forschungsgebiet zuzuwenden… Sharpless wollte die organische Chemie vereinfachen und praktischer gestalten. Dafür dachte er sich den Begriff „Click Chemistry“ aus. Die Idee war einfach: Wir nehmen ab sofort nicht mehr natürlich vorkommende Molekülverbindungen und versuchen, sie nachzubauen, sondern wir versuchen, Bausteine die wir haben, möglich einfach zu etwas Neuem zu kombinieren. Lange, komplizierte Kohlenstoffketten, wie sie meist in der Natur vorkommen, sollten – wo möglich – umgangen werden. Außerdem sollte die gesuchte Reaktion möglichst nicht nur unter Laborbedingungen funktionieren, möglichst reaktiv sein, wenig Nebenprodukte erzeugen und das Endprodukt muss stabil sein und sich leicht abspalten lassen. (Das ist so ziemlich in allen Bereichen genau das Gegenteil, wie Chemie oft abläuft…)
Morten Meldal und Barry Sharpless gelang es unabhängig voneinander, solch eine Reaktion zu finden: Die sogenannte copper catalysed azide-alkyne cycloaddition erfüllt alle gestellten Bedingungen! Nehmen wir diesen Ausdruck doch einmal auseinander: Die Cycloaddition ist eine chemische Reaktion in der organischen Chemie, bei der meist zwei ungesättigte Systeme miteinander durch Ringschluss reagieren. In diesem Fall handelt es sich bei diesen beiden Systemen um ein Alkin und ein Azid. Gibt man dazu Kupfer, wirkt dieser als Katalysator – also Beschleuniger – und heraus kommt ein 1, 2, 3 – Triazol (ein Fünfring). Diese ursprüngliche Reaktion ist bis heute als DIE Click-Reaktion (vgl. Bild oben) bekannt, obwohl inzwischen noch einige weitere Reaktionen gefundne wurden, die die Bedingungen erfüllen.
Die Reaktion wird inzwischen in den vielfältigsten Bereichen eingesetzt, einige davon sind: Die Entwicklung von Medikamenten, Darstellung von DNA und Herstellung neuer Materialien, die genau auf ihre Anwendung passen.
Das allein war schon ein großartiger Erfolg, aber Carolyn Bertozzi entwickelte es noch einmal einen großen und bedeutenden Schritt weiter, denn es gelang ihr, die Methoden so zu verändern, dass Click Chemistry auch in lebenden Zellen funktionierte. Bis hier war nämlich das Kupfer ein großes Problem gewesen, da es giftig für Zellen ist und deswegen nicht in diesen Bereichen angewendet werden konnte.
Bertozzi wollte dies ändern und schaute sich noch einmal einige Experimente mit Cycloaddition genauer an, die bereits Mittde des 20. Jahrhunderts durchgeführt worden waren und entdeckte dabei, dass diese Reaktion schneller ablief, wenn die Dreifachbindung zwischen den Kohlenstoffatomen (dem Alkin) verbogen war, also in Ringform, war. Sie testete dies mit der obigen Click Reaktion und konnte auf den Kupfer als Katalysator verzichten und damit wurde es anwendbar für Zellen.
Auch hier könnte man sagen: Super Erfolg, damit können wir erstmal schon viel mehr als vorher! Stimmt, aber Bertozzi machte noch weiter, denn sie wollte nicht nur die Click Chemie für Zellen nutzbar machen, sondern ihr schwebte eine komplette bioorthogonale Chemie vor! Das heißt, sie wollte Methoden der klassischen chemischen Synthese innerhalb von einzelnen Zellen und ganzen Lebewesen nutzbar machen. So kann man beispielsweise bestimmte Moleküle markieren und besser untersuchen. Die chemischen Reaktionen laufen dabei innerhalb von Zellen ab, stören aber nicht die Zelle und werden gleichzeitig auch nicht gestört. Eines ihrer Ziele war und ist die Untersuchung von Glykanen, Zuckermolekülen, die bis zu ihrer Arbeit kaum untersucht waren, weil es nicht möglich war, weswegen wir noch immer wenig über ihre Funktionen innerhalb unserer Körper wissen. Bei der Untersuchung wurde dann beispielsweise entdeckt, dass ein großer Teil der RNA Zuckermoleküle enthält, diese glycoRNA war bis 2019 komplett unbekannt.
Zusammenfassend, wofür haben die drei den Nobelpreis bekommen?
Barry Sharpless wollte die organische Chemie und ihre Reaktionen leichter und übersichtlicher gestalten, was ihm und Morten Meldal unabhängig voneinander durch die Entdeckung der Click Reaktion gelang.
Carolyn Bartozzi konnte diese Reaktion signifikant weiter entwickeln, sodass sie sogar in lebenden Zellen ablaufen konnte. Darüberhinaus gelang es ihr, bioorthogonale Reaktionen zu entdecken und zu erforschen, das sind Reaktionen, die innerhalb von Zellen ablaufen, ohne sie bei ihrer Arbeit zu stören oder gestört zu werden.
Diese Entdeckungen ermöglichen vereinfachte Medikamentenentwicklung, verbesserte Materialentwicklungen und vor allem auch Untersuchungen innerhalb lebender Zellen.
Barry Sharpless wurde am 28. April 1941 in Philadelphia (USA) geboren. Sein Lebenslauf liest sich ein bisschen wie das Who is Who der amerikanischen Universitäten: Er studierte am Dartmouth College, in Stanford, ging danach nach Harvard, zwischendurch nochmal nach Stanford und ans MIT, seit 1990 ist er Professor am Scripps Research Institute. Er erhielt bereits 2001 seinen ersten Nobelpreis, damals für seine Arbeit über stereoselektive Oxidationsreaktionen. Damit ist er zusammen mit Frederick Sanger unter den beiden einzigen Menschen, die zwei Chemie Nobelpreise erhalten haben.
Morten Meldal wurde am 16. Januar 1954 in Kopenhagen (Dänemark) geboren. Er studierte an der Technischen Universität Dänemark bei Kopenhagen und kam dorthin nach einigen Forschungsaufenthalten beispielsweise in Cambridge wieder zurück. Seit 2011 ist er Professor für Nanochemie am Nano Science Center der Universität Kopenhagen.
Carolyn Bertozzi wurde am 19. Mai 1966 in Boston (USA) geboren. Sie studierte in Harvard und promovierte in Berkeley. Dort war sie dann später (nach einigen Forschungsaufenthalten) ab 1999 Assistenz-Professorin, ab 2002 ordentliche Professorin für Chemie und Molekular- und Zellbiologie. Außerdem ist sie seit 2000 Professorin für Molekular- und Zellpharmakologie an der University of California, San Francisco, Wissenschaftlerin am Howard Hughes Medical Institute und seit 2015 Professorin in Stanford. „Nebenbei“ war sie auch noch die jüngste Wissenschaftlerin, die ein MacArthur Fellowship erhielt (das war 1999), sie bekam 2010 als erste Frau überhaupt den Lemelson-MIT-Preis (der mit 500.000 Dollar dotiert ist) und dieses Jahr war sie auch noch Wolf-Preisträgerin. Sie engagiert sich schon seit vielen Jahren für Diversität in den Wissenschaften.
Ihre Nobel lectures werden am 8. Dezember ab 11:20 Uhr live übertragen. Sie haben die Titel:
Carolyn R. Bertozzi: The Bioorthogonal Chemistry Journey, from Laboratory to Life
Morten Meldal: Molecular Click Adventures, a Leap from Shoulders of Giants
K. Barry Sharpless: Click Chemistry and the Certainty of Chance
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Weitere Informationen & Quelle:
The Nobel Prize in Chemistry 2022, nobelprize.org
Ein Gedanke zu „Click Chemie & Bioorthogonale Reaktionen {Nobelpreis 2022}“